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Kenia – Samburu Volk mit Samburu-Nationalreservat

Es gibt wohl kaum eine authentischere und intensivere Kenia-Erfahrung, als mit Fahrer, Koch, Zelt und Allrad-Jeep durch dieses Land abseits der üblichen Touristenpfade zu reisen und die indigene Bevölkerung der Samburus kennen zu lernen. Diese Nähe öffnet den Zugang zur Seele eines Volkes und wir begegnen den Menschen besonders intensiv. Auch habe ich einen Hang zu Reisen, bei denen man(n) so tun kann, als sei man(n) ein großer Abenteurer – ohne dass ich wirklich einer bin. Mein Dreamteam – Fahrer Siri (Silvanus Mosse), 35 Jahre alt vom Volk der Kisii und mein Koch Thony (Anthony Nyamay), 46 Jahre alt vom Volk der Kamba.

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Die Fahrt in das Samburu Stammesgebiet

Nairobi ist eine typische afrikanische Metropole, zumindest das, was ich auf der Fahrt vom Flughafen zu meinem Hotel für eine Übernachtung und auf der Rückfahrt aus dem Samburu County zum Flughafen gesehen habe. Abgase, Lärm, Staub, Staus und Slums waren meine Begleiter durch diese Stadt. Sicherlich gibt es aber auch sehr viele reizvolle und spannende Seiten dieser Großstadt, nur blieb mir dafür keine Zeit.

Kurz vor 9:30 Uhr kam mein Fahrer Siri zum Hotel mit einem etwas abgefahrenen Jeep – ein Toyota Landcruiser Baujahr ca. 2000. Das Abenteuer konnte nun beginnen und der Landcruiser erwies sich dabei als sehr zuverlässig und genau richtig für diese Tour. Also nichts wie raus aus Nairobi. Wir konnten gleich ausserhalb Nairobis für 15000 KES (ca. 120,- €) tanken und eine neue Gasflasche zum Kochen kaufen. Es ist sehr erstaunlich, wie viele unterschiedliche Landschaften Kenia auf den ersten 160 Kilometern zu bieten hatte. Aus der grauen Stadt Nairobi durch einen Wald mit Nadelbäumen, dann das trockene Great Rift Valley und urplötzlich grüne Landstriche mit viel Landwirtschaft. Treffpunkt mit meinem Koch Thony war der Einkaufsmarkt im Ort Naivasha. Dort kauften wir zwei Einkaufswagen voll mit frischen Lebensmitteln und Grundnahrungsmitteln, auch 2x 20 Liter große Trink- und Kochwasserkanister. Der Kassierer und vier weitere Marktangestellte turnten um uns herum und verpackten und verschnürten unsere Einkäufe in Kartons und Tüten. Zu guter Letzt trugen sie alle inklusive der Markt-Security die verpackten Lebensmittel zu unserem Jeep. Das Ganze erregte ein großes Aufsehen und wir hatten eifrig damit zu tun, das Ganze im Jeep zu verstauen. Die Fahrt in das Samburu County (2 Tage) ging über die Orte Gilgil, Ol Kalou nach Nyahururu zu den Thomson Falls (ca. 160 km). Weiter über Rumuruti, Kinamba, Mugie, Sukuta Lol Marmar, Kisima nach Maralal (ca. 170 km).

Wie die Massai sind die Samburu auch ein Kämpfer- und Nomadenvolk. Sie haben sich ihre authentische Kultur dadurch erhalten, dass sie an ihren von den ältesten Stammesführern überlieferten Traditionen festhalten und neue modernere Lebensweisen meist ablehnen. Wie viele andere traditionelle Stämme Afrikas, stehen auch die Samburu unter dem Druck ihrer Regierung, um sich in festen vorbestimmten Dörfern niederzulassen. Die Hauptnahrung der Samburu ist neben Mais auch die Milch und das Blut ihrer Tiere. Sie schlachten ihr Vieh aber nicht, sondern ritzen nur die Venen an und versorgen die Wunde danach sofort mit heißer Asche. In den letzten Jahren haben sie allerdings begonnen, auch wegen den Dürreperioden, sich von ihrer rein nomadischen Lebensweise zu trennen und sich auch dem Ackerbau an feststehenden Manyattas zu zuwenden. Normalerweise leben zwischen 5 und 10 Familien in einer Manyatta/Dorf zusammen. Jede Familie hat ihre eigene Hütte, die der Frau gehört. Hat ein Mann mehrere Frauen, so hat jede Frau für sich und ihre Kinder eine eigene Hütte. Die transportablen Hütten sind von einem Wall aus trockenen Dornbüschen und Totholz umgeben, der verhindert, dass umherstreifende Tiere oder Viehdiebe in das Dorf kommen können. Ein weiterer kleinerer Dornenwall in der Mitte der Manyatta umgibt den Platz der Beratung, die Ältestenversammlung. Mittlerweile dient er auch in vielen Dörfern nachts als Viehgehege. Dazwischen liegen die länglichen Hütten gebaut aus Holzstangen mit Lehm- und Kuhdungwänden. Zur Abdeckung werden Häute, Grasmatten und in der Regenzeit Kunststoffplanen benutzt.
Ein ganz wichtiger sozialer Aspekt in ihrer Kultur ist die Achtung der Ältesten und dem Elder (Ältester als Stammesführer). Je älter ein Mann wird, desto mehr Macht und Respekt erlangt er. Jede Altersstufe bekommt außerdem spezifische Aufgaben zugeteilt. Kinder (Layeni, bis ca. 12 Jahre), kümmern sich um die Ziegen, Schafe und deren Milch. Beschnittene junge Männer, die zur Altersklasse der Krieger (Moran, ca. 12-19 Jahre) gehören, bewachen die Rinderherden, gehen auf Jagd und beschützen den Clan. Verheiratete Männer regeln die Probleme der Gemeinschaft und tragen Verantwortung für den Clan. Die Frauen sind für die Hütten, Kindererziehung, die Milchkühe, das Kochen und auch für das Sammeln von Holz und Wasser verantwortlich. Männer haben meist mehrere Frauen und leben in Polygamie. Das Prestige eines Mannes ergibt sich aus der Anzahl seiner Rinder und Frauen. Die Mädchen helfen schon früh ihren Müttern bei der Hausarbeit und werden schon ab dem Alter von ca. 12 Jahren an fremde Männer eines anderen Clans verheiratet. Bei der eigentlichen Hochzeitszeremonie wird an den Frauen teilweise immer noch eine Genitalverstümmelung praktiziert. Bei den Jugendlichen im Alter zwischen 7 bis 15 Jahren erlaubt die Einweihungszeremonie den Eintritt in die Männerwelt und wird meist durch die Beschneidung der Vorhaut begleitet. Männer wie Frauen tragen traditionell ihre farbenfrohen Shukas. Lange Tücher, die lose um den Körper gewickelt werden oder als Schultertücher dienen. Frauen haben zahlreiche Halsketten aus Perlen, Ohrringe und Armbänder. Oft ist ihr Kopf auch mit einem kreuzförmigen Stirnschmuck verziert. Er ist ein Zeichen dafür, dass die Frau noch unverheiratet ist. Mädchen tragen schon ganz früh einzelne handgefertigte Perlenschnüre um den Hals, die sie von den jungen Moran geschenkt bekommen und die im Laufe der Zeit zu dicken Kragen heranwachsen. Der Perlenschmuck hat eine traditionelle Bewandtnis. Sie sind Geschenke von jungen Samburu-Kriegern. Die Moran dürfen dafür mit den minderjährigen Mädchen Sex haben, wann immer sie wollen. Ihre Religion konzentriert sich auf ihren höchsten Gott Nkai , die Quelle jeglichen Schutzes vor Gefahren und viele rituelle Wahrsager oder Schamanen.

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Es ist ein wirklich traumhaft schöner Morgen im Samburugebiet und die aufgehende Sonne taucht die sattgrüne Savannenlandschaft in ein wunderbar warmes und intensives Licht. Durch das offene Fenster des Toyota Landcruisers weht der kühle, frische Duft der Umgebung herein. Wir sind auf dem Weg zu den Tamiyioi Manyattas. Außer unserem Fahrzeug ist kein weiteres in den Karisia Hills/Ngari Hills (ca. 2500 m hoch) zu sehen und weitab von Zuhause fühle ich mich wirklich, wie in einer anderen Welt. Erwartungsvoll und ungeduldig schweift mein Blick über die näher kommende Hügelkette. Zebras weiden abseits des kaum sichtbaren Weges und Samburu Frauen kommen uns mit leeren Wasserkanistern oder Malas (Milchgefäße) entgegen. Sie sind auf dem Weg zum Einkaufen nach Maralal. Die ersten Samburu Morans (Krieger) erscheinen in der Ferne mit ihren Viehherden. Schon vom weiten sieht man ihre roten, gestreiften oder mit Karos versehenen Shukas (Tücher). Sie winken uns freudig zu, noch eine Bergkuppe und wir erreichen die zwei feststehenden nicht mehr ganz so traditionellen Manyattas von Elder Samy Lekume (Stammesältester, 46 Jahre alt). Er lädt uns sofort in seine Manyatta ein, stellt seine Familie vor und zeigt uns die Umgebung. Hierbei erfahre ich, dass Samy 3 Brüder, 2 Frauen und 13 Kinder hat. Seine Hauptmanyatta aus 3 Häusern besteht aus – die seiner beiden Frauen (Big Wife und Small Wife) und seinem eigenen Haus. Dazu kommen noch mehrere Viehgehege für junge Ziegen und Kälber. Er hat sogar einen kleinen Hühnerstall, Hühner und Eier sind aber lediglich für den Verkauf gedacht. In den nächsten Tagen hatte ich das Glück, das mir die 12 Morans (Krieger) der Manyattas und mehrere Samburu Frauen nicht für Touristen übliche Darbietungen, sondern nur für mich ihre traditionellen Lebensweisen, Tänze und Riten gezeigt haben. In den Krieger- und Liebestänzen demonstrierten sie dabei ihren Stolz und ihre Stärke. Erfahrungsreiche und intensive Tage in dieser Manyatta werden noch lange in mir nachwirken.

Meine zweite besuchte Manyatta lag ca. 3 km zu Fuß von der Landstrasse C77 bei Maralal landeinwärts. Siri und ein kurzfristig engagierter Führer namens Ernest gingen mit mir bergauf durch eine wunderschöne Landschaft zu der einfachen Manyatta von Elder Lekalasimi. Seine Gelassenheit, Ruhe und Unbeweglichkeit ließ nur schwer erahnen, wie alt er war. Er hatte jedenfalls drei Frauen unterschiedlichsten Alters und fünfzehn Kinder. Die Frauen und fünf seiner Kinder waren in der Manyatta anwesend. Sie freuten sich über unseren Besuch und lächelten mich immer wieder freudig an. Ernest übersetzte für mich meine Fragen und so konnten wir miteinander kommunizieren. Die Big Mama der Manyatta lud mich dann in ihre Hütte ein und zeigte mir ihre einfache Einrichtung. Ein Bretterbett abgetrennt mit runden dünnen Baumstämmen vom Innenraum mit Einstieg und bedeckt mit dünnen Kuh- und Ziegenfellen, ein schmales einfaches Holzregal, eine fest eingebaute Holzbank über die gesamte Breite der Hütte, Metallkochtöpfe und Milchgefäße (Mala oder Calamash) und eine im Boden mit Steinen umfasste Kochmulde für das Holzfeuer. Mir wurde noch erklärt, wie die Milchgefäße benutzt und wie sie mit der brennenden Rinde des Thamayo Baumes gereinigt werden. Diese Hütte der Big Mama darf ihr Ehemann nicht betreten, das verlangt die traditionelle Kultur der Samburus. Die Familie hatte zum Leben Hühner, Kühe, Ziegen und ausserhalb ein paar große Mais- und Gemüsefelder. Irgendwie hatte ich wieder einmal den Eindruck, dass die Menschen hier viel glücklicher und zufriedener sind, auch wenn sie kaum etwas besitzen. Als Dankeschön für ihre Gastfreundschaft bezahlte ich noch ein von meinem Führer Ernest ausgehandeltes Geldgeschenk und alle winkten mir noch lächend und freudig beim Abschied hinterher.

Langsam erklimmt die Sonne den afrikanischen Horizont und wie jeden Morgen werde ich durch das Krächzende „Raah“ der zwei Ibisse vor meinem Zelt begrüßt. Mein Abenteuergeist erwacht wieder und vertreibt meine Müdigkeit und Steifheit. Dafür sorgt auch Thony mit dem ersten frisch aufgebrühten Kaffee jeden Morgen. Mein nächsten Ziel lag mit 4,5 Stunden Fahrzeit und ca. 140 Kilometern von Maralal entfernt. Die Fahrt ging über Kisima, Lodungokwe und Wamba nach Archer’s Post zum Umoja Campsite von Rebecca Lolosoli, die Betreiberin des Camps und Begründerin des Umoja Frauendorfes. Sie erzählte mir, dass der Preis für einen Zeltplatz genauso teuer wäre, wie für eine Banda (Bungalow). Natürlich nahm ich eine Banda und eine weitere für Anthony und Siri mit Einstrahldusche und WC. Leider war alles schon sehr heruntergekommen oder renovierungsbedürftig. Für den Besuch der Manyattas hier bei Archers Post/Umoja braucht man einen Guide, der sich dann auch fürstlich entlohnen lässt. Mein Guide Mohammed und mein Fahrer Siri fuhren mit mir am Spätnachmittag zu der Touristen-Manyatta von Elder Namayana. Dort wurden wir von Lobiky Gabriel Lekopiro (39 Jahre alt) empfangen und ich musste sofort einen erheblichen Eintrittspreis bezahlen. Es empfiehlt sich grundsätzlich bei solchen Besuchen von Touristen-Manyattas kräftig und energisch zu verhandeln. In diesem Dorf leben 20 Familien mit ca. 160 Dorfbewohnern (darunter 40 Morans). Lobiky hat nur 1 Frau und 6 Kinder.

Rhytmischer Samburu Frauengesang mischt sich mit dem taktvollen Klatschen ihrer Hände zu meiner Begrüßung und die jüngste Tochter von Gabriel, namens Nasieku, lud mich zur Dorfbesichtigung ein. Die „angeblichen Morans“ zeigten auch hier einen Krieger-/Löwentanz und mit den Frauen einen Liebestanz. In der Manyatta wurden mir dann teilweise die Dorfbewohner und Ältesten vorgestellt und ich konnte ein paar schöne farbenfrohe Photos machen. Es gab aber überhaupt keine Alltagsarbeiten der hier lebenden Samburus in irgendeiner Art und Weise zu sehen. Und dann kam das, was kommen musste. Die letzte Station des Dorfes, die Verkaufsplätze für Touristen. Auf dem Boden lag überall handgemachter traditioneller Perlenschmuck in allen Formen und Farben, sowie einfach geschnitzte Holzfiguren. Man wird von allen Seiten gedrängt etwas zu horrenden Preisen zu kaufen. Als wir die Manyatta verlassen hatten, kamen schon die nächsten Guides mit Touristinnen und diese zahlten auch ihre Eintrittsgebühren. Diese für Touristen vorzeigbaren Manyattas sind mit Vorsicht zu genießen, denn sie sind eine Geldeinnahmemaschine, obwohl es evtl. auch einen sozialen Hintergrund geben könnte. Letztendlich aber hatte ich den Eindruck, dass das gesamte Umoja-Gebiet eine Touristenfalle ist und man es besser meiden sollte. Aus diesem Grunde habe ich dann dort auch keine weiteren Dörfer mehr besucht, auch nicht das bekannte Umoja-Frauendorf.

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Kenia/Samburu: Deutscher Reiseverband verurteilt Vertreibung der Samburu

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 Das Samburu-Nationalreservat

Mein letzter Tag im Samburu County gehört dem Samburu-Nationalreservat und seiner Tierwelt. Siri, mein Fahrer, fährt durch das östliche Eingangstor des Reservates, genannt Archers Gate und öffnet für mich das Fahrzeugdach. Ab hier sind wir auf einer relativ guten Schotterpiste unterwegs oder fahren auf kleinen Wegen durch die trockene Savannenlandschaft. Da ich nur ein Zoom bis 200 mm Brennweite habe, bin ich einmal gespannt, wie nah ich die Tiere vor meine Linse bekomme. Der 165 km² große Nationalpark liegt auf ca. 800 bis 1000 m Höhe im Tal des Ostafrikanischen Grabenbruchs (Great Rift Valley) in Nachbarschaft des Buffalo Springs Reserve in einer halbwüstenartigen wilden Landschaft mit felsigen Hügeln, weiten Grassavannen, Akazienbäumen und Trockenbüschen. Die Lebensader des Parks ist der Uasu Nyeru Fluss, der in der Sprache der hier beheimateten Samburu „Fluss mit braunem Wasser“ bedeutet. Hier kann man Begegnungen der besonderen Art hautnah mit der Tierwelt erleben. An seinen schmalen Streifen Galeriewald aus seltenen Doumpalmen (die man an den verzweigten Stämmen erkennt), Schirmakazien und Tamarindenbäumen versammeln sich viele Tiere in der Trockenzeit. Der Park ist Lebensraum für große Elefantenherden, seltene Grevy Zebras und Netzgiraffen, Beisa Orix-Antilopen, Grant-Gazellen, Gerenuk (Giraffen-Halsgazellen), Löwen, Geparden, Nilkrokodilen und weiteren Tierarten. Er strahlt eine Ruhe und Zeitlosigkeit aus, als habe sich hier in den letzten Jahren kaum etwas verändert und die Tiere lassen sich von den Safari-Fahrzeugen kaum stören. Am Abend in der Lodge erlebe ich dann die faszinierende Atmosphäre Afrikas hautnah — einen wunderschönen Sonnenuntergang begleitet von den geheimnisvollen Geräuschen und Alarmrufen der Tierwelt.

Eintrittspreis pro Person und Tag  –  70,- US-Dollar.

Venedig – die schöne Stille im Winter

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Gelandet auf Venedigs kleinem Flughafen Marco Polo und gleich in der Ankunftshalle ein Ticket Linea Arancio (Linie Orange) der Bootslinie Alilaguna gekauft. Nun geht es mit noch anderen Touristen etwa 10 Minuten entlang eines überdachten Fußweges zum Bootsanleger. Das Hybrid-Boot der orangenen Linie schwankt im Schritttempo mit 7 km/h durch den ausgewiesenen Kanal in Richtung Venedig. Im Schiffsbauch sitzen wir gegenüber wie im Wartezimmer einer Arztpraxis. In der Mitte des Bootsrumpfes stapelt sich das Handgepäck, oben beim Einstieg stehen unsere Koffer. Alle schauen nun ganz aufgeregt und interessiert durch die schmalen Bootsfenster in Richtung der Lagunenstadt. Die Kameras werden gezückt und ein Photo nach dem anderen von der in der Ferne liegenden Silhouette Venedigs abgelichtet. „Venedig sehen und sterben“ meinte Thomans Mann – belassen wir es doch lieber beim Sehen, Flanieren, Erleben und Genießen.

Die schöne Stille im Winter – die Winter-Melancholie gibt der Stadt ein ganz anderes Gesicht als der Rummel des Sommers mit den vielen Touristenströmen. Das mattierende Licht dieser Jahreszeit bei bedecktem Himmel entsättigt etwas die Farben der alten Paläste oder lässt sie in der weichen Wintersonne noch farbiger und intensiver erscheinen. Diese Stadt ist einzigartig, denn wo sonst gibt es Gondeln statt Autos, Vaporetti statt Stadtbussen oder Kanäle statt Straßen und natürlich die Biennale, den weltberühmten Karneval und das Acqua alta (Hochwasser). Kein Auto, kein Bus, kein Motorrad, kein Fahrrad, kein Hupen, kein Bremsen – nur das Rauschen der Wellen in den Kanälen, das Knattern der Schiffsmotoren, das Läuten der vielen Kirchenglocken, der Schrei der Möwen, die Musik aus den Fenstern, das Parlare/Reden der Einwohner und ab und an das Singen der Gondolieri. Allein schon die Namen der sechs Stadtteile (Sestrieri) des Centro Storico (historischer Stadtteil) klingen wie Opernnamen – Cannaregio, Castello, Dorsoduro, San Marco, San Polo und Santa Croce. Dazu kommen noch die Inseln Isola della Giudecca, Burano, Murano, Torcello, die kleineren Inseln der Isole Minori und der Lido. Und nicht zu vergessen, Venedig ist die Lieblingskulisse der Liebenden in einer einzigartigen Lagunenromantik.

Venedig ist eine Stadt der Künstler, der Geschichten, der Kanäle und der Palazzi mit morbidem Charme – der melancholische Charme des Zerfalls. Aber vor allem reich an unverhofften Winkeln, verwunschenen Gassen und Plätzen, die immer wieder Verzückung und Erstaunen hervorrufen. Es reichen ein paar Schritte weg von den ausgetretenen Touristenpfaden und man kommt in eine ganz andere Welt. Die Route durch Venedig heisst Zufall und ohne Ziel. Besonders schön auch die magische Ruhe des Abends und der Nacht an den Kanälen zu spüren oder ein Acqua alta mitzuerleben. Im letzten Schimmer des Tages zeigt Venedig sein Traumgesicht. Das Wasser der Kanäle reflektiert und spiegelt die Lichter, Kirchen, Paläste und Brücken. Und dann die farbenprächtige und lebhafte Wasserstraße – der Canal Grande. Er durchzieht den Stadtkern S-förmig in einer Länge von fast 4 Kilometern und ist die logistische Schlagader der Stadt. Anders als in den Seitenkanälen herrscht auf dem Canal Grande den ganzen Tag Hochbetrieb. Gondeln dümpeln mit Touristen vorbei, Vaporetti schippern von Haltestelle zu Haltestelle, Alilaguna-Boote vom oder zum Flughafen voll mit Touristen und dazwischen tuckern Lastkähne. An beiden Ufern des Canal Grande die vielen schönen Palazzi. Welchen Aufwand es macht, diese auf Holzpfählen errichteten Gebäude zu erhalten, verrät die rückseitige Ansicht. Einige Paläste verdanken ihre Standhaftigkeit nur noch dem Nachbarpalazzo, an den sie sich noch anlehnen können. Die Venezianer leben wie in einem Freilichtmuseum – zwischen Alltag, Pracht und Kommerz. Und jedes Jahr kommen neue Höchststände an Besucherströmen. An manchen Tagen hat der berühmte Markusplatz sogar mehr Besucher als Einwohner in der Stadt leben. Den Venezianern bleibt einfach nur noch die Statistenrolle auf der Bühne ihrer Heimatstadt. Was hat die Zeit nun Venedig gebracht? Bäckereien, Metzgereien oder Buchhandlungen wurden in Nobelboutiquen oder chinesische Touristengeschäfte mit Souvenir-Billigware verwandelt oder in Pizzabuden mit ausländischen Bediensteten. Nicht angemeldete illegale Touristenguides führen Touristengruppen gegen Bezahlung/Schwarzgeld durch die Stadt. Der venezianische Alltag und die Infrastruktur einer Stadt verschwindet immer mehr. Natürlich lebt in Venedig alles vom Tourismus, er ist Fluch und Segen dieser Stadt. Unterhält man sich mit den Venezianern, dann hört man immer wieder: Wir leben wie in einem Altersheim, die jungen Leute ziehen weg und die Alten bleiben mit den Touristen hier. Mittlerweile vermietet kaum noch ein Venezianer einem anderen Venezianer eine Mietwohnung. Es gibt jetzt mehr Privatvermieter von Zimmern für Touristen als Hotelzimmer in Venedig und immer mehr Ausländer kaufen für teures Geld die alten Palazzi auf.  Die Altstadt blutet langsam aus. Das Besondere aber ist dabei immer noch, dass wir hier gut funktionierende Nachbarschaftsbeziehungen haben und im Winter Venedig wieder mit Ruhe zu sich selbst findet.

„Venedig ist der romantischste Ort der Welt. Aber noch besser wenn niemand da ist“  Woody Allen

Entlang der Kanäle kann man sich treiben lassen und dabei unzählige Kaffeebars und Bacari (typische Weinlokale) sehen. Für einen Cappucchino, Espresso, Macchiatone, Ristretto, Sprizz oder Wein findet man hier immer Zeit. Empfehlenswert ist das Antica Torrefazione di Caffè in Cannaregio. Für einen Kaffee im Stehen zwischendurch die optimale Adresse. Und wer bei oder nach einer Erkundungstour eine Kleinigkeit essen möchte, der sollte in einem Bacaro bei einem Glas Wein oder Sprizz ein paar Cicchetti – eine Art italienische Tapas – essen. Die besten Cicchetti gibt es in Dorsoduro in der Cantine del Vino Gia Schiavi oder der Osteria Al Squero. Je mehr Cicchetti man käuft, um so billiger je Stück werden sie – auf die Preistafeln achten! Beide Weinlokale liegen an der Fondamenta Nani und am Rio de S. Trovaso.
Buon appetito – Essen sollte man in Venedig abseits der Hauptrouten in Restaurants, in denen die Venezianer selbst zum Essen gehen. Hier bestimmt oft das tägliche Angebot auf dem Gemüse- bzw. Fischmarkt die Speisekarte, falls es überhaupt eine Speisekarte gibt. Einfach überraschen lassen und geniessen wie bei der einfachen kleinen Trattoria Bertolini Marialuisa (ehemals Da Marisa). Hier kocht die Familiencrew täglich frisch immer nur ein bodenständiges venezianisches Menü und es wird gegessen, was auf den Tisch kommt. Dazu gibt es einen halben Liter Weisswein, eine Flasche Wasser und am Menüende einen Espresso. Das Fischmenü besteht z.B. aus den Antipasti: zerkleinerter Stockfisch mit Polenta, Carpaccio von mariniertem Seebarsch auf Rucola, gegrillte kleine Moschuskragen in Tomatensugo und gefüllte gratinierte Miesmuscheln. Der Primo Piatto: Fischlasagne aus drei verschiedenen Fischsorten. Der Secondo Piatto: frittierte Calamari, Gambas und Stockfisch. Das Dessert: Mandel-Likör-Mascarpone mit Amarettini. Das ganze Menü mit Getränken für 35,- € pro Person. Es empfiehlt sich frühzeitig einen Tisch zu reservieren.

Ein anderes Rom

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Auf der Suche nach einem anderen Rom – nach verborgenen, nicht alltäglichen Einblicken in dieser Stadt. Spontane Szenen, Details, zufällige Begegnungen, Momentaufnahmen des realen Alltages. Abseits der touristischen, monumentalen Highlights findet der “andere Blickwinkel” die alltägliche urbane Umgebung Roms.

 

Das bekannte Rom

Rom – das größte Museum der Welt. Antike und moderne Orte wechseln sich ab, man läuft auf der Straße und bewegt sich überall wie auf einer großen Bühne. Gesehen und gesehen werden – und beim Einkaufen gehört “La Chiacchierata”, das Schwätzchen dazu. Stilvoller Kaufrausch in alten Palästen – mal elegant und dekadent, mal flippig und trendy.

Äthiopien – Eine faszinierende Reise in das Omo-Valley

Die Route:  Addis Abeba – Arba Minch – Konso – Dimeka – Turmi – Murulle – Weito

670 km in Äthiopien mit Flugzeug und Jeep in eine andere Welt. Äthiopien ist in jeder Beziehung außergewöhnlich. Es wird auch das Dach Afrikas genannt, weil mehr als die Hälfte des Landes über 1.200 m hoch liegen. In der Hauptstadt Addis Abeba findet man den größten Markt Afrikas, den “Mercato”. Ca. 13.000 Menschen handeln dort mit den verschiedensten Waren. Hinter der Stadt Arba Minch wird es langsam immer heißer. Es folgen die Orte Bussa, Gidole, Konso und dann der afrikanische Grabenbruch – das Great-Rift-Valley. Im Anschluss daran die Asele- und Buska Mountains, sowie die trockene Savanne bei Dimeka und Turmi mit Schotter- oder Sandpisten. Wasser ist hier überall eine Kostbarkeit.

Äthiopien… die Volksstämme des Omo- und Great-Rift-Valley

Das untere Omo-Tal im Südwesten von Äthiopien ist die Heimat einiger der weltweit letzten indigenen Völker. Sie unterscheiden sich sprachlich nur gering und haben sich ihre Kulturen, Traditionen und Rituale bewahrt. Seit 1980 gehört dieses Gebiet zum Weltkulturerbe der UNESCO. Für viele Anthropologen gilt das Omo-Tal als Ursprung der Menschheit – des Homo Sapiens. Hinter dem „Mount Buska“ und den „Asele Mountains“ leben die Urvölker der Hamar und Kara. Vor dem Great-Rift-Valley (ostafrikanischer Grabenbruch) die Konso und im Great-Rift-Valley die Arbore, nur um einige der vielen Stämme zu nennen. Die Völker des südlichen Omo-Tales zählen heute zu den Faszinierendsten ganz Afrikas. Ihr Leben wird in keiner Weise von der Erhöhung des Benzinpreises oder von steigenden Zinsen oder fallenden Währungskursen beeinflusst. Sie benötigen nicht viel und decken ihren Bedarf aus dem Kreislauf der Natur und orientieren sich einfach an anderen Wertvorstellungen. Aber ihre Zukunft ist gefährdet. Der gigantische Staudamm Gibe III (geplant Gibe I bis V) wird am oberen Omo-Tal gebaut. Er wird das empfindliche Ökosystem und die Lebensgrundlage der indigenen Völker zerstören. Die jährlichen Überschwemmungen des Omo, eine wichtige Konstante für die Landwirtschaft, werden dann ausbleiben. Außerdem verpachtet oder verkauft die äthiopische Regierung große Landflächen an ausländische Firmen, wodurch sich für viele dieser Völker ihre Anbauflächen verringern.

Einfach nur schlimm – Landraub und Zwangsvertreibungen:
http://www.survivalinternational.de/nachrichten/10902

“Heute leben die Menschen in Angst, sie haben Angst vor der Regierung. Bitte helft den Viehhirten im südlichen Äthiopien, sie sind bedroht”. EIN ANGEHÖRIGER DER OMO-VÖLKER

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Die Hamar:

Mein Hauptaugenmerk auf dieser Reise galt dem Volksstamm der Hamar oder auch Hamer, einer indigenen Bevölkerungsgruppe mit etwa 42.000 Angehörigen in der Omo-Region, im Südwesten von Äthiopien. Ich fand stolze, offene und freundliche Menschen vor, die mich in ihren Gehöften stets willkommen hießen. Die Hamar sind verwandt mit den Benna und kaum von ihnen zu unterscheiden. Ihre Sprache ist das Hamar-Benna, welches zu den südomotischen Sprachen gehört und ihre Religion ist das Anrufen der Lebenskraft „Barjo“ durch gemeinsame Fürbitten und Gesänge. „Barjo“ kann auch als Schicksal oder Glück definiert werden.
Die Savannen-Vegetation in ihrem Stammesgebiet ist sehr karg und die Niederschläge sind spärlich und unregelmäßig, so dass es immer wieder zu Dürrekatastrophen und daraus resultierenden Hungersnöten kommt. Gerade in diesen Zeiten der Dürre ziehen sie mit ihren Herden auch in weit entfernte Gebiete, was unweigerlich zu Konflikten mit benachbarten Volksgruppen führt. Die Hamar leben wie die meisten halbnomadischen Volksgruppen in dieser Region vor allem von ihren Zebu-Rinder- und Ziegenherden, betreiben aber gleichzeitig auch Ackerbau und Handel. Ihre Herden sind Lebensgrundlage (Blut/Milch/Fleisch) und zugleich Statussymbol der Menschen.
Die Landwirtschaft ist ausgerichtet auf den Wechsel von Trocken- und Regenzeit. Es wird auf den Feldern eine Mischkultur, bestehend aus Bohnen, Hirse, Mais und Kürbissen angebaut. Hirse (Sorghum) ist das wichtigste Grundnahrungsmittel, aus dem die verschiedensten Gerichte und Hirsebier zubereitet werden. „Sherka“ (selbstgefertigte Behältnisse aus Kürbishälften) sind ein wichtiger Bestandteil im alltäglichen Gebrauch, dienen aber auch als Tauschgut in der Kultur der Hamar. Die Kürbishälften werden je nachdem für was sie benötigt werden, unterschiedlich gefertigt und aufbereitet. Es gibt die verschiedensten Gebrauchsmöglichkeiten, wie z.B. für Hirsebier, Kaffee, Milch, Öl und zum Buttern oder auch als Schöpflöffel.

Die Hamar leben in kleinen Familien-Clans auf stammeseigenem Land zusammen. Der Grundriss eines Familienhauses ist oval. Die Wände bestehen aus Holzpfählen, die mit einem Gemisch aus Erde und Kuhdung verstrichen sind. Das kegelförmige Dach ist aus langen Holzstangen gebaut, die mit trockenem Gras bedeckt werden. Die Kochstelle ist einer teilweise offenen Hausöffnung zugewandt. Der Eingang hat eine kniehohe Schwelle, damit keine Tiere in das Haus laufen können. Eingefriedet ist das Gelände teilweise mit Holzpalisaden und geschnittenem Dornengeäst, das zu einem Wall aufgeschichtet wird. Zwei rituelle hölzerne Torbögen ermöglichen den Zugang zu einem Gehöft. Im inneren Hof leben die Ziegen und in einem mit Holzzaun getrennten Areal übernachten die Rinder, die sehr früh morgens wieder auf die Weiden getrieben werden. Die Männer und Jungen arbeiten fast ausschließlich als Hirten, sammeln aber auch Honig. Die Frauen kümmern sich in den Gehöften um die Kinder, die Sauberkeit, das Kochen, das Wasserholen, das Sammeln von Brennholz, sowie Kuh- und Ziegendung für den Hüttenbau. Sie sind auch verantwortlich für die Feldarbeit und den Handel auf Märkten. Die Mädchen verbringen viel Zeit damit, schöne Lederkleidung und Perlen- oder Kaurischneckenschmuck herzustellen. Schmuck hat eine große Bedeutung, weil es die soziale Position des Trägers oder der Trägerin widerspiegelt. Wichtige Ereignisse im Alltagsleben sind die wöchentlich stattfindenden Wochenmärkte in Dimeka und Turmi, auf denen auch der Austausch von Neuigkeiten stattfindet.
Für die traditionelle Frisur der Hamar Frauen wird das Haar mit einer Mischung aus rotem Ocker (Ton) und Tierfetten/Butter eingerieben, ebenso der Körper als Schutz vor Insekten, der Sonne und als Schönheitsideal. Sehr auffallend sind manchmal die Männer mit geschorenem Kopf. Darauf tragen sie aus Lehm modellierte, farbige Kopfschalen, geschmückt mit Perlen und Federn – eine Auszeichnung für eine besondere Leistung, wie die Erlegung eines wilden Tieres. Für diesen raffinierten Kopfschmuck haben die Männer hölzerne Kopfstützen zum Schlafen, die auch unterwegs als Hocker benutzt werden. Verschiedene geometrisch angeordnete Schmucknarben zieren die Arme und den Rücken dieser Menschen. Oftmals ist es für die Männer nicht einfach eine Frau für die Heirat zu bekommen. Sie müssen einen hohen Preis an die Brauteltern bezahlen. Etliche Ziegen und Rinder werden ausgehandelt und als Zugabe noch Honig. Verheiratete Hamar Frauen tragen symbolisch silberne Metallringe um ihren Hals. Ein Mann kann mehrere Frauen haben und polygam mit ihnen leben. Ist eine Frau die Zweite ihres Ehemannes, muss sie zwei Ringe um ihren Hals tragen. Trägt sie an einem Halsring noch einen abstehenden Zapfen, so ist sie die Hauptfrau ihres Mannes und hat besondere Vorzüge gegenüber den anderen Frauen. Diesen Sonderstatus behält sie auch in ihrem ganzen Eheleben.

Während dem Besuch eines Hamar-Dorfes ging ich einmal früh morgens mit zwei Frauen zu einem weiter entfernten Brunnen Wasser holen. Das Wasser wird in einen 20 Liter fassenden gelben Plastikkanister abgefüllt. Dann wird der Kanister in einer Art Ziegenleder- oder Plastikrucksack mit Riemen auf dem Rücken zurück zum Gehöft getragen. Schnell spricht es sich herum, dass ich wieder im Dorf zurück bin und werde von einer Familie zum Kaffeetrinken eingeladen. Ich darf in ihrer Hütte auf Ziegen- und Kuhfellen, die normalerweise als Schlafstätte dienen, Platz nehmen. Der Kaffee aus angerösteten und dann gemahlenen Hülsen der Kaffeebohne wird in siedentem Wasser aufgekocht. Die Zweitfrau schöpft den Kaffee in eine Kalebasse (Sherka) und reicht sie mir zum Trinken. Für mich schmeckt es eher wie ein Tee, als nach Kaffee. Plötzlich erscheint an der niedrigen Eingangsschwelle der Dorfälteste. Sofort wird ihm auch eine Kalebasse mit Kaffee gereicht. Er trinkt einen Schluck daraus und spuckt den Kaffee in die Runde der Anwesenden. Völlig überrascht lasse ich mich aufklären – es ist ein morgendliches Ritual zur Begrüßung der Anwesenden mit den Wünschen für Glück und Gesundheit.

Zu den bedeutendsten Ritualen der Hamar gehört das Initiationsritus der “Bull Jumping Ceremony”. Wenn ein Junge erwachsen wird, kommt die Zeit, dass er heiraten und eine Familie gründen will. Um heiraten zu dürfen, muss er eine Initiation durchlaufen, deren Höhepunkt der Bullensprung ist. Die Zeremonie wird durch Tänze der weiblichen Verwandten des zu initiierenden Mannes (Ukuli) eingeleitet. Die Frauen bewegen sich dabei im Kreis und stampfen mit ihren Füßen auf den Boden, hüpfen in die Höhe oder blasen in ihre kleinen Trompeten. Mit schrillen Stimmen singen sie dabei, während die metallenen Schellen an ihren Waden dazu läuten. Danach folgt das Auspeitschen der weiblichen Clan-Angehörigen durch die Junggesellen (Maz), die den Sprung über die Rinder bereits bei einer früheren Zeremonie erfolgreich absolviert haben. Für die Hamar ist das Auspeitschen der Frauen ein untrennbarer Bestandteil dieses Rituals. Die weiblichen Clan-Angehörigen, des zu initiierenden Mannes, demonstrieren damit ihre Fähigkeit Schmerz zu ertragen für den Initianden, für die Gesellschaft, aber auch Zuneigung für den Mann, den sie lieben. Dieses Ritual sichert ihnen auch in schlechten Zeiten die Unterstützung des Initianden und der Gesellschaft. Während der Zeremonie fordern diese Frauen die heiratswilligen Männer über mehrere Stunden lang wiederholt dazu auf, weitere Peitschenhiebe auszuführen. Dabei stellen sich Frauen, wie auch ältere Mädchen trompetend, stolz aufgereckt, auch neckend vor die Männer, bis diese die sehr langen und biegsamen Gerten auf die nackten Rücken der Frauen peitschen. Obwohl auf ihren Rücken das Blut läuft, lachen die Frauen nur höhnisch und blasen wieder in ihre Trompeten. Je wulstiger die dabei entstehenden Narben sich bilden, um so schöner werden sie empfunden. Für uns Europäer sieht es so aus, als wären diese Frauen dabei in einer Art von Trance. Kurz vor Sonnenuntergang wird der eigentliche “Bullensprung” vorbereitet. Mehrere Zebu-Rinder werden gepackt und in einer Reihe aufgestellt. Der nackte, initiierende Mann springt und läuft viermal über die Reihe von Rindern. Schafft er die Prüfung ohne Stürze, geht er symbolisch von der Kindheit/Jugend über in den Status eines erwachsenen Mannes. Er erhält in dem Moment die Berechtigung eine Familie zu gründen und ist ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft. (Anmerkung: Wäre er dabei gestürzt, wäre er ein Versager, denn nur Helden werden Männer. Leider konnte ich nicht in Erfahrung bringen, was mit einem gestürzten jungen Mann dann weiter passiert; ob er noch eine Chance bekommt?)

“Ich, der Ferenji (weißer Mensch), durfte hochinteressante, eindrucksstarke und wunderschöne Tage mit erfüllenden Momenten bei dem Volk der Hamar miterleben. Solche einzigartigen Kulturen regen zum Nachdenken an. Sie helfen uns, wenn wir es denn zulassen, zum Ursprünglichen zurück zuschauen, zu erkennen, was im Leben wirklich wichtig ist und wie wenig man braucht, um glücklich zu sein.
BARJO EME – Danke!”

 

Die Kara:

Die Kara sind nur eine kleine Volksgruppe am Omo-Fluss mit  ca. 1.500 Angehörigen. Ihre Sprache ist das gleichnamige Kara, das zu den südomotischen Sprachen zählt. Sie leben noch abgeschieden und weitgehend unberührt von der Moderne mit Ausnahme ihrer verzierten Kalaschnikow-Gewehre und ihren Tributforderungen an photographierende Touristen. Sie haben symbolträchtige Rituale, die durch den Einsatz von Körperbemalung mit Naturfarben (Asche/Kreide/Lehm), aufwändigem Kopfschmuck (Früchte/Perlen/Kaurimuscheln) und Narbentätowierungen, ihre spezielle Bedeutung haben und zum alltäglichen Leben des Stammes gehören. Kara Männer formen mit Tonerde ihr Haar zu ausgefallenen Kappen in Ockerfarbe, die mit Straußenfedern am Hinterkopf verziert werden. Manche Frauen und Mädchen durchbohren mit einem Nagel unterhalb der Unterlippe die Haut. Das Loch dient zur kontrollierten Wasserabgabe beim Waschen ihrer Kinder oder der Hände. Erst füllen sie ihre Mundhöhle mit Wasser, öffnen das mit einem Grashalm oder Nagel verschlossene Loch und lassen dann das Wasser langsam auf die zu reinigenden Körperteile fließen.
Die Kara sind kulturell mit den Hamar verwandt, deshalb ähneln sich ihre Sprachen, Riten und Gebräuche. Auch ist ihre Kleidung nahezu identisch. Eine Vermischung mit dem Volk der Hamar durch Heirat ist sehr häufig der Fall. Ihre Lebensgrundlage ist der Ackerbau (Sorghum/Mais) im Schwemmland des Omo-Flusses. Hierfür sind sie auf die jährlichen Überschwemmungen des Flusses angewiesen. Aber auch von der Fischerei und von der Viehzucht ernähren sie sich. Die Älteren passen auf, dass die Jüngeren den Umgang mit Geld erlernen und jeder Tourist seine Photos auch bezahlt. Eine Bedrohung für das Vieh stellen die Viehdiebe dar, die sich an den Viehbeständen der Kara vergreifen, was dazu geführt hat, dass sich nun die Kara mit Kalaschnikows gegen die Viehdiebe wehren. Ca. 500 Kilometer stromaufwärts am Omo-Fluss wird der Staudamm Gibe III gebaut. Er wird mit 240 m der höchste Staudamm des afrikanischen Kontinents und empfindliche Auswirkungen auf das Ökosystem und die Schwemmgebiete in der Region und somit auch für die Kara haben. Experten gehen davon aus, dass die Überschwemmungszeiten des Omo sich verändern und einen dramatischen Verlust des Wasservolumens zur Folge haben werden. Die Schwemmgebiete werden austrocknen und den Kara und anderen Völkern, die fast vollständig vom Fischen und Ackerbau leben, droht eine Unterernährung, was zu Auseinandersetzungen mit anderen Stämmen aufgrund mangelnder Nahrungs-Ressourcen führen wird.

 

Die Konso:

Das Volk der Konso lebt mit ca. 200.000 Angehörigen im Südwesten Äthiopiens, oberhalb des Great-Rift-Valley (ostafrikanischer Grabenbruch) und etwa 90 km von der Distrikthauptstadt Arba Minch entfernt. Im Jahr 2011 wurde ihre Kultur- und Naturlandschaft in das UNESCO Weltkulturerbe aufgenommen. Über 400 Jahre alte, mehrstöckige, bewässerte Terrassenlandschaften sowie hohe Befestigungswälle aus schwarzem Basalt und Holzzäunen, umgeben die Siedlungen mit strohbedeckten Steinhäusern, Speichern und Stallungen für ihre Tiere. Die Wälle dienten früher zur Abwehr von Feinden und wilden Tieren. Die Dörfer wachsen von innen nach außen, d.h. wenn der Platz innerhalb eines Walles nicht mehr ausreicht, wird eine neue Mauer um das bestehende Dorf gezogen und neue Gehöfte innerhalb dieser Mauer gebaut. Jede Familie besitzt darin ein eigenes eingezäuntes Gelände mit ihrer Hütte, der Kornkammer (Kosa), einem Kochplatz und einem Unterstand für die Tiere.
Die Konso praktizieren Polygamie. Ein Mann hat bis zu 4 Frauen und mehrere Kinder. Ihre Sprache ist das gleichnamige Konso, welches zur ostkuschitischen Sprachfamilie zählt und ihr Hauptort ist Konso. Geprägt sind die Gemeinden vor allem durch ihren außerordentlichen sozialen Zusammenhalt und gemeinschaftliches Arbeiten. Der zentrale Dorfplatz ist gleichzeitig Gerichts-, Hochzeits- und Zeremonienort. Es gibt auch einen „Kala“ – König. Er ist Ratgeber, oberster Richter und Repräsentant seines Volkes.
Die Konso sind zudem Meister ihres terrassenförmigen Ackerbaus, um dem Bodenabtrag vorzubeugen und um das wenige Regenwasser sinnvoll über die Felder fließen zu lassen. Es wird u.a. Kohl, Mais, Hirse (Sorghum), Süßkartoffeln, Bohnen, Kaffee und Baumwolle angebaut. Neben den – in ganz Äthiopien üblichen Getreidesorten – ist bei den Konso auch der vitaminreiche Kohlbaum (Moringa stenopetala) ein wichtiger Nahrungs- und Gesundheitsspender. Seine Blätter werden mit Wasser und Salz aufgekocht und mit kleinen Maisklößen gegessen. Die Samen werden auch zur Reinigung des Flusswassers und zur Ölgewinnung genutzt. „Tschakka“ ist ein aus Mais gebranntes Bier und wird gemeinsam getrunken. Das Handwerk (u.a. Weberei) sowie die Landwirtschaft haben sich seit Generationen nicht verändert und sind traditionell tief verankert. Die Konso erinnern mit einem Totenkult aus geschnitzten Holzfiguren an ihre verstorbenen Verwandten. Der Geist der Verstorbenen kann in den hölzernen Figuren „Waka“ weiterleben.

 

Die Arbore:

Die Arbore ( Erbore) sind mit ca. 4000 Angehörigen eine kleine Stammesgruppe und leben im ostafrikanischen Grabenbruch (Great-Rift-Valley) am Chew Bahir See. Sie sprechen die Omo-Tana-Sprache, eine Untergruppe der kuschitischen Sprachen. Jedes Dorf wird von einem gewählten politischen und einem religiösen Führer geleitet und die Hütten ordnen sich im Kreis um den zentralen Dorfplatz (Nab). Ihre Gesellschaftsstruktur gliedert sich in 10 Clans und clanübergreifende Generationsklassen (Herr), welche jeweils aus vier Altersklassen (Jim) mit einem Altersunterschied von max. neun Jahren bestehen. Jedes Mitglied der Gesellschaft hat seinen festen Platz, welcher ihm von Geburt an, durch sein Geschlecht bestimmt ist. Die Zugehörigkeit zu Clans, Generations-/Alters- und Heiratsklasse (Luba) ist mit vorgegebenen Heiratsregeln und Verhaltensnormen verbunden. Für die Mädchen ist die ritualisierte Genitalbeschneidung (die Ausschneidung der äußeren Klitoris und ein Teil der Schamlippen) immer noch eine Voraussetzung für die Anerkennung als Frau und der zentrale Moment beim Übergang der Unverheirateten zur Braut. Es ist ein fest verwurzelter Bestandteil ihrer Stammeskultur und widersetzt sich ein Mädchen diesem Ritual, wird es aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Die Beschneidung findet am Nachmittag im Hüttenvorbau der Brautfamilie statt, wo die abgetrennten Körperteile auch symbolisch begraben werden. Danach gehört das Mädchen nicht mehr zur Familie und dem Clan ihres Vaters. Bis zu einer Hochzeit müssen die Kopfhaare der Frauen abrasiert werden. Der rasierte Kopf ist ein Zeichen der Jungfräulichkeit. Ausschließlich auf eigenes Verlangen werden den unverheirateten Arbore Mädchen halbmondförmige Ziernarben an Bauch oder Oberarm eingeritzt. Das Einritzen wird mit einem Messer vorgenommen und in die kleinen Wunden wird Asche gerieben, damit sie sich nach dem Verheilen deutlich aufwölben.
Waqa, der Gott der Arbore, regelt das Gleichgewicht im traditionellen Leben dieser Volksgruppe. Danach muss dem Glauben zufolge, ein Gleichgewicht zwischen Frauen und Männern, Jungen und Alten, physischer und spiritueller Macht gemäß der kosmischen Ordnung Waqas herrschen. Die Hauptnahrungsquelle der Arbore ist Sorghum (Hirse), das zweimal im Jahr, den Regenzeiten angepasst, am Schwemmgebiet des Weyto geerntet wird. Aus Hirse bereiten sie gedünstete Hirseröllchen und ihr Hirsebrot zu. Zudem bauen sie aber auch Mais und Hülsenfrüchte an. Der ganze Stolz und Sinnbild für Reichtum sind aber ihre Rinderherden, die jedoch vorwiegend wegen ihrer Milch und ihres Blutes genutzt und meist auf weit entfernten Weideflächen gehalten werden. Sie dienen auch in Notfallzeiten als Tauschobjekt oder Nahrungsmittelreserve. Fleisch selbst, essen sie fast ausschließlich von Ziegen und Schafen.

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